| Spaltung  oder soziale Gerechtigkeit?Von Hans-Dieter  Wege Was  liegt näher? Als Vater von drei berufstätigen und zwei schulpflichtigen Kindern  drängt sich mir manchmal der Verdacht auf, die Spaltung funktioniere wohl eher als  die soziale Gerechtigkeit, vielleicht sogar in der eigenen Familie. Auch als  regelmäßiger parteiloser Teilnehmer an den bundesweiten Montagsdemonstrationen  bekomme ich schneller den Eindruck, dass man falschen Forderungen  hinterherlaufen soll und man die in meinen Augen richtigen als Utopie abtun  will.
 Was bringen eigentlich „Nachbesserungen“ des  SGB II? Fünf Euro will die Regierung einem alleinlebenden Erwerbslosen mehr  zahlen. Andere Organisationen fordern 80 Euro mehr allein für Ernährung. Die  Hauptforderung der „Linken“ in Deutschland lautet: 500 Euro Regelsatz, zehn  Euro Mindestlohn und Einführung der 30-Stunden-Woche. Eines haben alle diese  Forderungen gemeinsam: Sie beinhalten keine Strategie zur Überwindung dieses  asozialen Hartz-IV-Gesetzes und akzeptieren weiterhin den Kapitalismus als  weitgehend funktionierendes Gesellschaftssystem. Auch die vorhandene Armut in  der Bevölkerung und die Abkopplung der Erwerbslosen von der Lohnarbeit wird  somit weiterhin in Kauf genommen, übrigens auch mit der Forderung des  bedingungslosen Grundeinkommen nach Vorstellung eines Götz Werner oder Dieter  Althaus, wenn man dieses über die Steuern finanziert.
 
 Was ist mit den Rentnerinnen und Rentnern? Millionen von ihnen haben Anspruch  auf eine gesetzliche Altersrente von unter 750 Euro. Die meisten haben 30, 40  oder mehr Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt, ich selbst  übrigens auch. Da ich noch Familienmitglieder zu unterhalten habe, wird mir  meine Rente in einer Höhe ausgezahlt, die auch ein verheirateter junger  erwerbsloser Mensch bekommt, der vielleicht noch nie in seinem Leben einer  Lohnarbeit nachging oder nachgehen konnte. Auch alleinlebende junge Erwerbslose  haben in diesem Fall einen höheren Regelsatzanspruch als zum Beispiel  verheiratete Rentner(innen) mit Anspruch auf Grundsicherung. Wieso wird  eigentlich kein Rentenabstandsgebot gefordert? Ist das soziale  Gerechtigkeit?
 
 Was ist mit den Alleinerziehenden mit einem oder mehreren Kindern? Die  Einführung einer 30-Stunden-Woche allein, selbst mit einem steuerfreien  Mindestlohn von zehn Euro in der Stunde wird diesem Personenkreis nicht dazu  verhelfen, der Armut wirklich entfliehen zu können, trotz Kindergeld,  vielleicht Kindergeldzuschlag oder auch Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss. Ist  bei diesen Forderungen jemals berücksichtigt worden, dass zum Beispiel eine  berufstätige Frau wesentlich höhere Kosten für Bekleidung und ihr sonstiges  „Outfit“, für Kinderbetreuung und die Wege zur Arbeit hat? Wo landen diese  Personen, selbst wenn man ein Lohnabstandsgebot von 15 Prozent zu Hartz IV  berücksichtigt? Der Armut können auch hierdurch die meisten Personen und ihre  Kinder so kaum entrinnen. Ist das soziale Gerechtigkeit?
 
 Nun kann man noch die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem  Lohnausgleich aufgreifen. Aber geht es dem Einzelnen hierdurch besser?  Finanziell zumindest würde wohl alles beim Alten bleiben. Auch die wirklich  notwendigen Lohnarbeitszeiten werden durch diese Forderungen überhaupt nicht  berücksichtigt. Vollzeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, die trotzdem schon  jetzt in Hartz IV fallen, werden auch mit einer 30-Stunden-Woche bei vollem  Lohnausgleich weiterhin darauf angewiesen sein. Ist das soziale Gerechtigkeit?
 
 Gegnerinnen und Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens behaupten oftmals,  diese Forderung trage zur Spaltung der Gesellschaft bei. Man spricht vom „Recht  auf Faulheit“, das es nicht geben dürfe. Ich finde, man muss den Unterschied  zwischen einem bedingungslosen Grundeinkommen und einem bedingungslosen  Einkommen verdeutlichen! Letzteres fordert niemand aus dieser Bewegung. Wie  könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen,  welches jedem in Deutschland lebenden Menschen in gleicher Höhe zustehen  sollte, denn die Gesellschaft spalten? Wäre es nicht soziale Gerechtigkeit,  wenn jedes Kind mit seiner Geburt über ein eigenes Grundeinkommen von  beispielsweise 1.000 Euro verfügen könnte? Wenn jede Rentnerin und jeder  Rentner mindestens über 1.000 Euro im Monat bekämen? Wenn die alleinerziehende  Mutter oder der Vater und jedes von ihnen zu unterhaltende Kind ebenfalls 1.000  Euro zum Leben hätten?
 
 In meinen Augen würde man gerade durch die  Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens endlich die Spaltung der  Gesellschaft überwinden können, wenn man gleichzeitig allen erwerbsfähigen  Personen auch das garantierte Recht auf gleiche Beteiligung an der notwendigen  Lohnarbeit zubilligt. Hierdurch bekommt jeder erwerbsfähige und -willige Mensch  die Möglichkeit, sein bedingungsloses Grundeinkommen durch Lohnarbeit zu  ergänzen. Die Finanzierung eines Grundeinkommens muss anfangs zumindest zur  Hälfte aus den Profiten aller Unternehmen finanziert werden, wobei man  letztlich die Überwindung der Lohnarbeit als Ziel definieren muss.
 
 Nur so lässt sich in meinen Augen das Ziel eines demokratischen Sozialismus,  wie er von den Sozialdemokraten und der Partei „Die Linke“ angestrebt wird,  auch auf demokratischem Wege erreichen. Mir persönlich ist es übrigens egal, wie  man ein demokratisches System nennen würde, welches auch international  funktioniert. Auf alle Fälle würde man ein besseres Leben für alle Menschen  erreichen, wenn man gleichzeitig auch einen schonenden Umgang mit den  natürlichen Ressourcen, der Umwelt und dem Klima anstrebt. Hierzu muss jeder  Einzelne bereit sein, gerade hinsichtlich seiner eigenen Mobilität notfalls  auch Einschnitte in seine persönlichen Freiheitsrechte in Kauf zu nehmen. Dann  haben unsere Erde und die kommenden Generationen vielleicht noch eine Chance.
 
 Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner asozialer Politik)
 
 http://www.bremer-montagsdemo.de/
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